- Post-market Surveillance
- 17. Januar 2023
Grundlagen zur Überwachung nach dem Inverkehrbringen
Was ist post-market surveillance?
Post-market Surveillance (PMS) ist der englischsprachige Begriff für die Überwachung nach dem Inverkehrbringen (von Medizinprodukten und In-vitro-Diagnostika, IVDs).
Hersteller von Medizinprodukten und IVDs agieren in einem streng regulierten Umfeld. Das ist wichtig, weil es in der Medizintechnik um Menschenleben geht. Es geht darum, den Patienten zu nutzen und sie nicht unnötig zu gefährden.
Wie überprüft man also auch nach der Produktentwicklung, ob die Medizinprodukte im Markt so funktionieren, wie angedacht? Wie überprüft man also, ob sie wirklich nicht unnötig gefährden, oder sogar Schaden anrichten? Es kann ja auch durchaus sein, dass das Produkt an sich sicher ist – aber in der Herstellung einer Charge hat sich ein Fehler eingeschlichen.
Genau an der Stelle greift die Überwachung nach dem Inverkehrbringen. Hersteller sind dazu verpflichtet ein System zu etablieren, das es ermöglicht, solche nachteiligen Geschehnisse im Markt festzustellen und auszuwerten. Diese Daten müssen dann genutzt werden, um geeignete Maßnahmen umzusetzen, damit von den Medizinprodukten und IVDs keine unvertretbare Gefährdung ausgeht.
PMS ist also kurz gesagt ein wichtiges Werkzeug für die Patientensicherheit und die stetige Verbesserung von Medizinprodukten.
Was bedeutet Inverkehrbringen?
Das wird von den beiden neuen EU-Verordnungen MDR und IVDR definiert: Es bezeichnet die erstmalige Bereitstellung eines Produkts auf dem EU-Markt. Die Bereitstellung auf dem Markt bezeichnet jede entgeltliche oder unentgeltliche Abgabe eines Produkts zum Verbrauch oder zur Verwendung auf dem Unionsmarkt im Rahmen einer gewerblichen Tätigkeit.
Worum geht es beim Post-market Surveillance?
Daten aus verschiedenen Quellen müssen gesammelt und ausgewertet werden. Solche Quellen können ganz verschieden sein. Im Grunde ist alles geeignet, was Informationen über die Anwendung des Medizinprodukts bzw. IVDs enthält.
Mögliche Quellen sind, unter anderem:
Die Anzahl möglicher Quellen ist enorm, denn überall kann von sicherheitsrelevanten Aspekten eines Produkts berichtet werden.
Die große Herausforderung im PMS ist es, geeignete Quellen auszuwählen und die große Menge an Daten sinnvoll zu analysieren.
PMS Daten können dabei sogar von anderen Produkten stammen. Hat ein Hersteller mit seinem Produkt Probleme im Markt und man vertreibt ein gleichartiges Produkt, hat evtl. sogar gleiche Zulieferer, dann sollte man durchaus überprüfen, ob die gleichen Probleme mit dem eigenen Produkt auftreten könnten. Auch dafür kann PMS genutzt werden.
Warum muss man das auf einmal alles machen?
Im Grunde ist PMS gar nicht neu. Die Anforderungen gab es schon unter der 93/42/EWG (MDD) und 98/79/EG (IVDD) bzw. dazugehörigen Guidance Dokumenten usw.
Bisher haben viele Hersteller aber die geltenden Anforderungen nicht wirklich eingehalten und mit der Umstellung auf die (EU)2017/745 (MDR) fällt vielen auf, wie groß die Lücken sind. Das erweckt schnell den Eindruck, dass die Anforderungen im Bereich der Überwachung nach dem Inverkehrbringen stark gestiegen seien.
Was ist wirklich neu daran?
Die MDR und IVDR erfordern die Erzeugung gewisser Berichte, die so vorher nicht notwendig waren. Diese Berichte orientieren sich an der Risikoklasse der Produkte und dementsprechend liegen ihnen andere Anforderungen zugrunde.
Näheres dazu folgt in den späteren Blogbeiträgen zum Thema PMS.
Warum gibt es so einen Hype um das Thema?
Einerseits hängt es damit zusammen, dass viele Hersteller jetzt feststellen, dass ihre PMS Prozesse nicht den Anforderungen von MDR und IVDR entsprechen. Andererseits liegt das an einigen Beratern, die gerne vor der enormen Komplexität des Themas warnen. Die davor warnen, wie schwierig die Umsetzung ist und Verunsicherung stiften.
Kein Vormarsch ist so schwer wie der zurück zur Vernunft.
- Bertholt Brecht
Was rät thinqbetter?
Das Thema ist sehr wichtig, keine Frage. Man sollte es nicht unterschätzen, aber auch nicht dramatisieren. Eine sachliche, überlegte Herangehensweise und Expertise sind ein guter Start. Anschließend kann eine Gap Analyse auf übersichtliche Weise feststellen, wie gut der eigene Prozess die geltenden und kommenden Anforderungen abdeckt.
Darüber hinaus werden unsere folgenden Blogbeiträge das Thema weiter behandeln und besser verständlich machen.
Post market Surveillance und die Verantwortung des Herstellers
Wer Medizinprodukte herstellt, trägt eine große Verantwortung. Dieser Verantwortung wird man nicht dadurch gerecht, dass im Rahmen der Entwicklung und Produktion keine Fehler gemacht werden sollen. Auch wenn diese Bereiche gut funktionieren, kann das Medizinprodukt im Markt mit Problemen assoziiert sein, die vorher nicht berücksichtigt wurden.
Um der Verantwortung eines Medizinprodukteherstellers wirklich gerecht zu werden, muss ein solides System zur Überwachung nach dem Inverkehrbringen implementiert und dauerhaft umgesetzt werden.
Das Motto, wenn Problemen (offiziell) nicht bekannt sind, dann gibt es sie auch nicht – Das kann sich ein seriöser Hersteller von Medizinprodukten nicht leisten.
Beim PMS geht es übrigens nicht nur darum, nachteilige Ereignisse festzustellen. Unserer Erfahrung nach kommt es häufig vor, dass Hersteller positive Erkenntnisse gewinnen. Es kommt beispielsweise vor, dass das Produkt für andere, bisher nicht bedachte Anwendungen erfolgreich eingesetzt wird. Es kann also über eine Erweiterung der Zweckbestimmung nachgedacht und so ggf. weitere Kunden für das Produkt begeistert werden.
Selbst wenn Schwierigkeiten mit einem Produkt im Feld beobachtet werden, ist das keine Schande. Ganz im Gegenteil: Es ist eine Chance, das Produkt noch besser zu machen. Es ist eine Chance, der Verantwortung als Medizinproduktehersteller gerecht zu werden und zu zeigen, dass man den Kerngedanken des Qualitätsmanagements verstanden hat – stetige Verbesserung.
Wie aufwändig ist Post-market Surveillance?
Das hängt von vielen Faktoren ab. Der wichtigste dabei ist Ihre Verfahrensanweisung bzw. Prozess zur Durchführung der Überwachung nach dem Inverkehrbringen. Ist der Prozess nicht optimal, erzeugt das entweder unnötigen Arbeitsaufwand oder Ihre PMS-Maßnahmen sind schlichtweg nicht wirksam. Sie haben dann also einen Prozess, der weder effektiv noch effizient ist. Bitte arbeiten Sie nicht mit so etwas!
Angenommen, Sie haben einen guten Prozess, der effizient und effektives Arbeiten ermöglicht. Dann liegt es im Rahmen der Erstellung von PMS- und PMCF-Plänen an Ihnen, die Maßnahmen auf Ihr Produkt und das damit verbundene Risiko anzupassen. Je nach dem wie ausführlich Ihr Prozess dies beschreibt, erfordert das mehr oder weniger Eigeninitiative.
Es ist in vielen Fällen ratsam, die gleichen Maßnahmen innerhalb einer Produktgruppe anzuwenden. Grundsätzlich sollten Sie sich während der Planung überlegen, aus welchen Quellen Sie Daten zu Ihrem Produkt bekommen oder wie Sie diese erzeugen können.
Zusammenfassend brauchen Sie einen guten Prozess und geschultes Personal, das sinnvolle PMS und PMCF Pläne erstellen kann. Darüber können Sie den Aufwand so gering wie möglich halten und dennoch maximalen Output erzielen.
Womit sollen Sie anfangen?
Gehen wir davon aus, dass Sie sich dazu entschieden haben, Ihren PMS-Prozess gemäß MDR oder IVDR zu überarbeiten. Womit sollen Sie anfangen?
PMS unter den neuen Verordnungen ist nicht grundsätzlich neu. Es gibt einige Unterschiede bei den zu erstellenden Reports, aber die grundlegenden Schritte sind gleich.
- Überlegen Sie sich eine Struktur. Welche Arbeitsschritte müssen durchgeführt werden?
- Identifizieren Sie anwendbare regulatorische Anforderungen und Guidelines
- Überprüfen Sie, welche Maßnahmen Sie bisher im Unternehmen durchgeführt haben (z.B. wie wurde bisher PMS gemacht? Wurden bisher Post-market clinical follow-up (PMCF) Maßnahmen durchgeführt, um damit klinische Daten nach dem Inverkehrbringen zu erzeugen?
- Welche Unklarheiten oder Verbesserungsmöglichkeiten sehen Sie an Ihrem aktuellen PMS-System?
Häufig ist es sinnvoll, vor all diesen Schritten eine Schulung zu besuchen. Lassen Sie sich von einem Experten erklären, was es mit der Überwachung nach dem Inverkehrbringen auf sich hat und welche Schritte notwendig sind. Beginnen Sie nun damit, sich selbst in das Thema einzuarbeiten, wird es Ihnen wesentlich leichter fallen.
Bauen Sie ein grundlegendes Verständnis auf
Das sagt sich so einfach. Das Thema ist komplex, es gibt viele Unklarheiten und es wird tatsächlich regelmäßig suggeriert, dass PMS gerade unter der MDR und IVDR sehr anspruchsvoll wird. Wie soll man sich da auf das Wesentliche konzentrieren?
Wir fassen es Ihnen kurz zusammen:
- Sie stellen Medizinprodukte her und bringen diese in Verkehr. Ihre Produkte sind also auf dem Unionsmarkt und werden beispielsweise von Ärzten angewendet, um Patienten zu behandeln.
- Sie wollen herausfinden, ob diese Produkte im Markt so funktionieren, wie von Ihnen vorgesehen.
- Sie machen sich einen Plan, um strukturiert an die Sache heranzugehen.
- Sie überlegen sich in der Planung, wie Sie an Daten zu Ihrem Produkt und der Anwendung im Markt kommen können.
- Dann sammeln Sie diese Daten aus den geplanten Datenquellen.
- Sie analysieren und bewerten die Daten.
- Zeigen die Daten, dass es Probleme mit dem Produkt gab? Dann leiten Sie Maßnahmen ab, z.B. eine Betrachtung der vorher unbekannten Risiken im Rahmen des Risikomanagements.
- Jetzt erstellen Sie einen Bericht über die Aktivitäten.
Herzlichen Glückwunsch, Sie haben soeben die Überwachung nach dem Inverkehrbringen für eines Ihrer Produkte durchgeführt!
In der Realität gibt es natürlich noch einige weitere Aspekte zu bedenken, insbesondere in Hinblick auf die MDR und IVDR. Im Großen und Ganzen funktioniert PMS aber genau so, dass Sie die oben genannten Schritte regelmäßig durchführen und so sicherstellen, dass verfügbare Daten regelmäßig gesammelt, ausgewertet und genutzt werden.
Auf Post-market clinical follow-up (PMCF) werden wir in einem nächsten Beitrag stärker eingehen. Machen Sie sich bis dahin bitte keine Sorgen: Denn auch PMCF ist halb so schlimm. Sie müssen nur wissen, wie es geht.
Bis zum nächsten Beitrag!