Auf den Punkt gebracht: Risikomanagement für Medizinprodukte

Lukas Losigkeit - Experte für Risikoanalyse und Risikomanagement

Lukas Losigkeit

CEO & Principal Consultant

Wie funktioniert Risikomanagement für Medizinprodukte?

Risikomanagement (RM) ist ein fortlaufender, lebendiger Prozess. Man ist damit also nicht einfach irgendwann fertig. Die RM-Aktivitäten starten idealerweise schon während der Produktentwicklung, da diese beispielsweise Einfluss auf das Produktdesign, die Gebrauchsanweisung und Labels haben können.

Alle Aktivitäten des Risikomanagements werden gemäß eines Prozesses und eines RM-Plans durchgeführt. Der Prozess gibt dabei in der Regel einen allgemeinen Rahmen vor. Der RM-Plan passt die Aktivitäten dann maßgeschneidert an ein Produkt an.

Nach der Planung werden die folgenden Aktivitäten durchgeführt:

  1. Risikoanalyse
  2. Risikobewertung
  3. Risikobeherrschung
  4. Bewertung des Gesamt-Restrisikos
  5. Überprüfung der Aktivitäten des Risikomanagements
  6. Aktivitäten der Produktion und der Produktion nachgelagerten Phasen (Daten sammeln, bewerten, Maßnahmen ableiten)
Risikomanagement und Risikoanalyse für Medizinprodukte und IVDs nach ISO 14971 für die MDR und IVDR EU Verordnungen

1. Risikoanalyse

Während der Risikoanalyse sollen Risiken identifiziert werden, die während der Anwendung des Produkts im Rahmen der Zweckbestimmung und des vernünftigerweise vorhersehbaren Missbrauchs auftreten können. Grundsätzlich geht es darum, alle Gefährdungen und Gefährdungssituationen zu identifizieren. Es ist dabei festzulegen, welche Eigenschaften des Produkts die Sicherheit beeinflussen könnten. Also solche Eigenschaften / Funktionen, die zu Risiken führen, wenn sie nicht mehr richtig funktionieren. Für alle Gefährdungssituationen wird eine Risikoeinschätzung durchgeführt. Dabei wird das jeweilige Risiko einer Gefährdungssituation durch die Kombination aus Auftretenswahrscheinlichkeit und Schweregrad bestimmt.


2. Risikobewertung

In der Risikobewertung werden die zuvor identifizierten Risiken dahingehend bewertet, ob sie akzeptabel oder nicht akzeptabel sind (gemäß ISO 14971). Die Kriterien für diese Bewertung sind im Risikomanagementplan zuvor festgelegt worden.


3. Risikobeherrschung

Während der Risikobeherrschung sind Risiken gemäß der ISO 14971 auf ein akzeptables Maß, gemäß MDR / IVDR so weit wie möglich, zu reduzieren. Dabei sind Maßnahmen in der folgenden Reihenfolge anzuwenden:

  • Inhärent sicheres Design des Medizinprodukts / IVDs
  • Schutzmaßnahmen im Produkt selbst oder während des Herstellungsprozesses
  • Informationen zur Sicherheit und Anwenderschulungen

Die Reihenfolge der Maßnahmen ergibt sich aus dem Wirkungsgrad dieser. Stellen Sie sich vor, das Produkt hat eine scharfe Kante, an der sich der Patient oder Anwender verletzen könnte. Denken Sie bitte nicht an ein Skalpell. Natürlich warnen Sie nicht einfach in der Gebrauchsanweisung vor der scharfen Kante, sondern Sie ändern diese Kante so, dass sie nicht mehr scharf ist. Sie haben also ein inhärent sicheres Design der Information zur Sicherheit vorgezogen. Und genau das ist das Prinzip, nach welchen die zuvor gelisteten Maßnahmen anzuwenden und umzusetzen sind.

Nachdem Sie nun die Risikobeherrschungsmaßnahmen definiert haben, muss überprüft (verifiziert) werden, ob diese auch implementiert wurden. Danach wird die Effektivität dieser Maßnahmen verifiziert, um sicherzustellen, dass diese die Risiken wirklich verringern.

Vor den Maßnahmen wurde bereits eine Risikobewertung durchgeführt. Ein weiterer Bewertungsschritt wird nun durchgeführt, um das Restrisiko nach der Implementierung effektiver Maßnahmen zu bewerten.

Sollte es Risiken geben, die nicht akzeptabel sind und auch nicht verringert werden können, ist eine Nutzen-Risiko-Analyse für diese Risiken durchzuführen. Sollte der Nutzen die Risiken nicht überwiegen, so muss das Produkt oder die Zweckbestimmung geändert werden.

Im Risikomanagement geht es darum, Risiken durch effektive Maßnahmen zu verringern. Allerdings muss dabei darauf geachtet werden, dass durch diese Maßnahmen nicht neue Risiken entstehen. Sollten neue Risiken eingeführt werden, sind diese in die Risikoanalyse einzuspeisen und der Prozess wird wir zuvor befolgt.


4. Bewertung des Gesamt-Restrisikos

Sie haben nun alle Gefährdungssituationen identifiziert und alle Risiko-Beherrschungsmaßnahmen effektiv implementiert. Jetzt führen Sie eine Bewertung des Gesamt-Restrisikos für das Medizinprodukt oder IVD durch. An dieser Stelle werden also nicht alle Risiken einzeln betrachtet, sondern alle gemeinsam. Alle Risiken werden zum Nutzen der Zweckbestimmung in Relation gesetzt und es ist auf dieser Grundlage zu bewerten, ob das Gesamt-Restrisiko akzeptabel ist.


5. Überprüfung der Aktivitäten des Risikomanagements

Die Überprüfung der Aktivitäten des Risikomanagements wird im Risikomanagementbericht dokumentiert. Dabei geht es darum sicherzustellen, dass einerseits der Risikomangementplan korrekt und angemessen implementiert wurde. Andererseits wird geprüft, ob das Gesamt-Restrisiko akzeptabel ist und angemessene Maßnahmen zum Sammeln und Überprüfen von Daten aus der Produktion und der Produktion nachgelagerten Phasen implementiert wurden. Auch hier wird die starke Verknüpfung zum Post-market Surveillance deutlich.


6. Aktivitäten der Produktion und der Produktion nachgelagerten Phasen

Die ISO 14971:2019 gibt detaillierte Anforderungen für die Verknüpfung des Risikomanagements mit der Überwachung nach dem Inverkehrbringen (PMS) vor. Das passt gut zum Konzept der MDR und IVDR, da beide Verordnungen dem Thema PMS einen größeren Stellenwert zuschreiben. Nähere Informationen zu dieser Verknüpfung folgen im nächsten Beitrag.